Quan-Fa

Auch in China hatte sich schon früh ein Kampfsystem etabliert. Schon im 12. und 13. Jh. v.Chr. soll in China ein Waffenloser Ringkampf mit dem Namen Xiangpu geübt worden sein. Aus dem 7. Jh. v.Chr. ist überliefert, dass die Chinesischen Aristokraten sich in Kampfmethoden übten. Das Xiangpu spaltete sich später in zwei unterschiedliche Richtungen. Zum einen in einen Ringkampf, zum anderen ein die Faust (chin. Quan) betonendes Kampfsystem.

Diese Kampfkunst wurde in der darauffolgenden Zeit auch zur Ausbildung der Soldaten verwendet und erlangte dadurch eine immer größere Bedeutung. Zu jener Zeit war das Quan-Fa noch eine rein Technische Kampfkunst. Die meditativen, gesundheitsfördernden und philosophischen Ideen fehlten zu dieser Zeit noch vollständig. Erst im Shaolin-Kloster fand um 1600 eine Zusammenführung von all diesen Ideen und dem Zen-Buddhismus zum Quan-Fa statt (siehe Die Shaolin). Nach der Zerstörung des Hauptklosters der Shaolin im Jahr 1673 erfolgte ein erneute Spaltung der Kampfkünste. In den wenigen Nebenklöstern begannen sich die Stile selbständig zu entwickeln, fehlte doch das Bindeglied, das zwischen ihnen bestanden hatte.

Diese Stile wurden nach und nach auch außerhalb der Klöster in den neu entstandenen Privatschulen (Guan) unterrichtet und sind heute unter dem Oberbegriff Waijia (Äußere Systeme / Stile) zusammengefasst. Die Spaltung von den Neijia (Innere Systeme / Stile) rührt aus der Zeit der Eroberung durch die Mandshu. Einige Meister arrangierten sich mit den Mandshu, die den Norden Chinas eroberten und besetzt hielten, während andere, in den Süden flohen und dort die Neijia begründeten. Die Waijia werden auch als die harten Systeme bezeichnet. Charakteristika der nördlichen Systeme sind hohe Stellungen, harte, schockartige, schnelle Bewegungen, die einen deutlichen effektiv-kämpferischen Aspekt erkennen lassen und auf die Ausprägung  äußerer Stärke  abzielen. Gerade der Norden war von Reitervölkern bewohnt, so das hier die Sprünge und hohen Beintechniken, auch in Kombination, eine höhere Bedeutung hatten als in den inneren Stilen. Den höchstens mit diesen Techniken war auch ein Angriff auf einen Reiter möglich. Sie gelten als das Ursprüngliche im Shaolin-Kloster entwickelte System. Durch die Sprünge und Beintechniken erhielten diese auch den Beinamen "Bein des Nordens". Damit stehen sie dem Karate näher als die Neijia.

Die Neijia sind dagegen eher von weichen, fließenden und langsamen Bewegungen beherrscht. Sie favorisieren einen eher meditativen Aspekt und zielen mehr auf die innere Energie, z.B. Tai Chi Chuan. Ihnen ist eine viel größere Verbindung zum Taoismus zuzusprechen als den Waijia. Die südlichen Reisbauern bevorzugen, im Gegensatz zum Norden, eher tiefe stabile Stellungen und vielfältige Handtechniken und  erhielten so den Beinamen "Faust des Südens"

 

 

Ein geflügeltes Wort aus China verbindet diese Aussagen im Satz "Nördliches Bein, südliche Faust". Doch die Meister des Quan-Fa lehnen vielfach eine derartige Unterscheidung ab und setzen für einen guten Kampfstil ein abgewogenes Maß beider Richtungen voraus – Meinungsverschiedenheiten, die sich z.T. durchaus im heutigen Karate zwischen den vielen Stilrichtungen wiederfinden, auch wenn diese Meinungsverschiedenheiten sicherlich nicht direkt nach Okinawa gelangten, sondern sich dort selbständig "neu" entwickelten.

Ende des 19. Jh. entbrannte Krieg mit Europa. Im Kampf setzten viele Chinesen auf die traditionellen Kampfkünste und Techniken. Im Vertrauen auf ihr Können stellten sich einige sogar bewusst in die Schusslinie der Europäer – und starben im Kugelhagel. Der Krieg brach durch den Aufstand von Sekten gegen die Christianisierung aus und erhielt später den Namen "Boxeraufstand" – in Anlehnung an die Kampfkunstmeister Chinas – eben die Boxer. Durch die katastrophale Niederlage verloren die Kampfkünste an Bedeutung. Nachdem 1911 die Qing-Dynastie durch die chinesische Revolution endete kam es wieder zu einer Wende. Die neue Regierung beendete die Einschränkungen der Qing-Dynastie. Gleichzeitig versuchte sie aber auch alle Stile zu vereinen. Ähnliche Bestrebungen wurden auch in Japan unternommen. Aber im Gegensatz zu Japan hatte China keinen dauerhaften Erfolg. Durch die staatliche Bevormundung entfernte sich das Wissen immer mehr von der Kampfkunst der alten Tage. Als sich diese Tatsache dann deutlich abzuzeichnen begann, versuchte man dagegen zu wirken. Alle alten Meister wurden verpflichtet, ihr Wissen zu dokumentieren. Ihre Technik wurde auch gefilmt um sie der Nachwelt zu erhalten. Doch durch die zuvor stattgefundene Verfolgung waren viele nicht bereit diese Idee zu unterstützen. Viele Stile fanden dadurch ein jähes Ende.

Ein Lichtblick stellt Taiwan dar. Die China vorgelagerte Insel ging nicht den gleichen Weg wie die Volksrepublik China. Meister die dort lebten oder nach dort flohen konnten ihrer Kunst frei nachgehen. So gehört sie, wie Okinawa, zu den großen Zentren der Kampfkünste der heutigen Tage und bewahrt das Wissen um die Kunst des Quan-Fa.