Die Shaolin

Im 3. Jh. v.Chr. fanden flüchtende Mönche im Norden Chinas Schutz vor der Verfolgung durch verschiedene rivalisierende Chinesische Herrscher. Da sie nun einen Ort gefunden hatten, an dem sie in Frieden leben konnten, errichteten Sie einen Tempel. Dieser wurde nach und nach zu einem Kloster ausgebaut. Die Mönche pflanzten um das Kloster herum viele junge Kiefern; das Kloster erhielt den Namen Shaolin – junger Wald.

Da das Kloster immer noch oft Opfer von Raubüberfällen war, wurden die Mönche auf Veranlassung ihres Abts von Kampfkunstmeistern in der Selbstverteidigung unterrichtet. Mit Erfolg, wie sich herausstellte, denn das Kloster konnte in dieser Zeit sogar seine Besitztümer erweitern.

In den folgenden Jahren entwickelte ein chinesischer Arzt namens Tuo Hua (190-265 n.Chr.) ein Gymnastiksystem mit dem Namen Wuqinxi, die "Kunst der fünf Tiere". Er hatte fünf Tiere (Affe, Hirsch, Bär, Tiger und Kranich) studiert, um herauszufinden, wie diese ihre Lebensenergie aktivieren und Nutzen. Mit Wuqinxi sollte es auch den Menschen ermöglicht werden, diese innere Lebenskraft (chin. Chi, jap. Ki) zu entwickeln und mit den Übungen auch Körper und Kreislauf zu kräftigten. Viele weitere System entwickelten sich auf der Basis seiner Erkenntnisse (z.B. Qi-Gong). Auch die Shaolin-Mönche verwendeten dieses System zuerst zu meditativen Zwecken und entwickelten daraus später ihre Kampfkunst. Als Folge all dieser Ereignisse wurde das Kloster im 5. Jh.  zum religiösen Zentrum ganz Nord-Chinas. Als im Jahr 426 n.Chr. beim Kloster eine kaiserliche Garnison stationiert wurde schwand zwangsläufig das Interesse an Kampfkünsten – es bestand schlicht kein Bedarf mehr.

Mit der Ankunft von Bodhidharma zwischen 520 und 530 n.Chr. kam es in vielerlei Hinsicht zu einer großen Veränderung im Kloster. Zum einen brachte Bodhidharma den Mönchen den Zen-Buddhismus, der im Kloster auf fruchtbaren Boden viel. Zum anderen wurden seine Atem- und Bewegungsübungen aus dem Yoga in die Bräuche des Klosters übernommen. Die Mönche schätzten den Nutzen, den sie bei ihren Meditationen daraus zogen. Sehr wahrscheinlich hat sich aus dem Wuqinxi und dem Wissen von Bodhidharma eine Vorform der berühmten Shaolin-Kampfkunst entwickelt. Schließlich war das Wissen um die Kampfkünste aus früherer Zeit bereits vorhanden und auch Bodhidharma soll eine Kampfkunst beherrscht haben – das Vaijramushti aus Indien. Das waren alle Voraussetzungen die nötig waren, eine Kampfkunst auf sehr hohem Niveau zu begründen.

In der Zeit nach der Ankunft Bodhidharmas wurde ein Soldat als Mönch ins Kloster aufgenommen. Sein Name lautete Meng Zang. Er wurde später zum Klostervorsteher und führte strenge Aufnahmeverfahren, Hierarchien und Übungsmethoden ein. In der Folge forderte er auch die Soldaten des Kaiser auf abzuziehen. Das Kloster verfügte jetzt selbst über die notwendigen Mittel sich zu verteidigen

In späterer Zeit wurde das Kloster sogar mehrfach vom Kaiser um Hilfe gebeten. Da das Kloster dem Kaiser die Hilfe auch gewährte und Erfolg hatte wuchsen zwischen dem Kaiser und dem Kloster starke Bande. Das Kloster erlebte eine Blüte, die Ländereinen wuchsen. Dadurch wurde das Kloster aber immer mehr auch ein Objekt der Politik. Dies ging sogar soweit, dass in späteren Zeiten die kaiserliche Geheimpolizei größtenteils aus Shaolin-Mönchen bestand. Um 1400 wurde die Geheimpolizei von einem Shaolin-Mönch namens Zhang Wo angeführt. Dieser war ein ausgezeichneter Kämpfer und durch die Macht seiner Geheimpolizei bestimmte er, und damit das Shaolin-Kloster praktisch die gesamte Politik des Reiches. Dem damaligen Souverän war dieser Zhang Wo ein Dorn im Auge. Um seine Bedrohung durch die Shaolin zu beenden ließ er Zhang Wo hinrichten und seine Agenten verfolgen.

Diese Begebenheit ist vermutlich ein Grund für die Spaltung der Shaolin-Kampfkünste. Die ehemaligen Agenten der Geheimpolizei verschwanden im Untergrund und gründeten überall im Land Quan-Fa-Schulen – ein Stil des Kung-Fu (eigentlich Gong-Fu = "harte Arbeit"). Im Kloster selbst wurde weiter Shaolin-Gong-Fu gelehrt. Aber die gute Beziehung zwischen Herrscherhaus und Kloster war zerbrochen. Im Shaolin-Kloster wurde fortan nur noch an Mönche das geheime Wissen um die Kampfkünste weitergegeben. Oft wurden die Lehren auch in Gedichten und Mandalas verborgen, um den Zugriff für Außenstehende zu erschweren.

 

 

 

Eine Legende über das Shaolin-Kloster erzählt aus der Zeit des 16. Jh. Der junge Yuan Jue reiste zum Shaolin-Kloster um die Kampfkünste zu erlernen. Er gehörte zu einem der besten Schüler und wurde schon wenige Jahre später selbst ein Sifu (jap. Sensei = Lehrer/Meister). Als Schüler hatte er die Shiba Luohanshou gerlernt, die "18 Hände des Buddha-Schülers" die noch von Bodhidharma entwickelt wurden. Er entwickelte diese weiter und baute sie zu 72 Techniken aus. Sie wurden jetzt unterteilt in Techniken des Schlagens (Da), Tretens (Ti), Werfens (Shuaijiao) und der Vitalpunktstimulation (Dian Xue). Letzteres allerdings in einer noch sehr primitiven Form. Mit seinen Verbesserungen war Yuan aber noch nicht zufrieden. Auf der Suche nach weiteren Verbesserungen für seine Kampfkunst reiste er durch das Land auf der Suche nach anderen Kampfkunstmeistern. Auf seiner Wanderschaft begegnete er dem Arzt Cheng Li, der von einem Raufbold belästigt wurde. Mit einem einfachen Druck auf eine Körperstelle machte er diesen Bewusstlos. Er verwendete sein Wissen um die Vitalpunktstimulation zur Selbstverteidigung. Yuan war beeindruckt und sah darin eine Möglichkeit seine Kampfkunst weiter zu verbessern. Deshalb fragte er Cheng Li ob dieser ihn unterweisen würde. Er lehnte jedoch ab. Sein Wissen würde nur Nutzen bringen bei einem Gegner der im Kampf nicht erfahren ist. Ein erfahrener Gegner würde auf Distanz bleiben und wäre mit dieser Methode nicht zu besiegen. Er schlug vor, den Kampfkunstmeister Yu Feng Bai zu befragen und mit im zusammen sein Wissen in einer taktische Kampfmethode zu verbinden. Yu Feng Bai stimmte zu und so reisten sie gemeinsam ins Shaolin-Kloster. Dort schufen sie aus dem Wissen um die Vitalpunkte, der Kampfkunst und dem Shaolin-Gong-Fu bzw. aus den "18 Händen der Buddha-Schüler" und deren Weiterentwicklung ein völlig neues Quan-Fa-Konzept. Nach dem dies alles Ausgearbeitet wurde unterteilten sie diese Konzepte in fünf Tierstile (Drache, Tiger, Schlange, Leopard und Kranich) mit dem Namen Wuxingxi (nicht zu verwechseln mit dem System Tuo Hua's Wuqinxi). die Shaolin-Mönche mussten fortan alle fünf Stile erlernen. Später trennten sich die einzelnen Systeme. Jue Yuan arbeitet neben dem neuen Kampfstil auch die "zehn Regeln des Shaolin-Quan-Fa" aus. Sie gelten als Ursprung des japanischen Dojo-Kun.

Etwa 250 Jahre nach der Hinrichtung Zang Wo's wurde China von den Mandschu erobert. Es gelang dem Kloster Unterstützung  für die neuen Herrscher vorzutäuschen, es wurde den Mandschu sogar militärische Hilfe beim Kampf gegen Räuberbanden angeboten, welche auch angenommen wurde. Innerhalb von dreieinhalb Monaten wurde die Gegend um das Kloster von Räuberbanden befreit. Tatsächlich war das Kloster aber von Anfang an das Zentrum des Wiederstands im Untergrund. Der neue Kaiser erfuhr von den Aufständen und erklärte dem Kloster den Krieg. Als er bald darauf  starb setzte sein Nachfolger den Krieg fort. 1673 wurde das Kloster gestürmt und alle 128 Mönche getötet. Nur fünf Tempelvorsteher entkamen und flohen nach Süden und setzten den Aufstand fort, der noch zweihundert Jahre bestehen sollte. Zu diesem Zweck gründeten sie einen Geheimbund, der sich Huidang nannte, um sich von der Herrschaft der Mandschu zu befreien. Sie gelten als die Vorväter der Triaden.

Während all dieser Jahre wurde das Kloster oft angegriffen. Dies ist sicherlich auch ein Grund, warum die Kampfkunst der Mönche sich immer weiterentwickelte. Aus der Spaltung des Kampfstils in Quan-Fa und Shaolin-Gong-Fu entstanden vermutlich die zwei Hauptrichtungen der chinesischen Kampfkünste. Dazu mehr im Kapitel über Quan-Fa